Mit Nonchalance am Abgrund: Ein Abend für die Neue Münchner Gruppe – am 8. Dezember im Blauen Salon

Zur Sache Schätzchen On Set

Es gibt Filmbewegungen, die laut in die Geschichte hineinrufen – und solche, die ihr mit einem lässigen Schulterzucken begegnen. Die Neue Münchner Gruppe gehört definitiv zur zweiten Kategorie. Zwischen 1964 und 1972 entstand in München ein Kino, das gleichzeitig leichtfüßig, urban, verspielt und doch hochpräzise war. Filme, die mit ironischer Distanz am politischen Zeitgeist vorbeistreiften – und damit eine ganz eigene Sprache fanden.

Am 8. Dezember 2025 lädt das Kino im Blauen Salon zu einem Abend ein, der nicht nur eine fast vergessene filmische Strömung wiederentdeckt, sondern auch einen besonderen Gast nach Karlsruhe bringt: den deutsch-amerikanischen Filmwissenschaftler Dr. Marco Abel, dessen Forschung seit Jahren das Verständnis des deutschen Kinos prägt. Mit seinem neuen Buch Mit Nonchalance am Abgrund: Das Kino der Neuen Münchner Gruppe (1964–1972) legt er die erste umfassende Studie über jene Filmemacher*innen vor, die einst im München der 1960er-Jahre gegen den Hauptstrom des westdeutschen Kinos schwammen – und damit ein energisches, ästhetisches Gegennarrativ zur dominierenden Filmgeschichte formulierten.

Die Neue Münchner Gruppe, zu der unter anderem Rudolf Thome, Klaus Lemke, Max Zihlmann, May Spils & Werner Enke sowie Martin Müller gehörten, entwickelte ein Kino, das sich bewusst vom intellektuellen Anspruch der Oberhausener und des späteren Neuen Deutschen Films absetzte. Während sich das westdeutsche Nachkriegskino oft ernst, reflektiert und kulturpolitisch verantwortungsvoll zeigen wollte, bevorzugten die Münchner eine Haltung, die Leichtigkeit, urbane Coolness und eine spielerische Nonchalance zuließ. In anderen Ländern fanden solche ästhetisch ungebundenen und popkulturell wachen Formen längst Anklang – in Deutschland hingegen gerieten die »charmanten« Filme der Gruppe nach ersten Erfolgen wie Zur Sache, Schätzchen oder Nicht fummeln, Liebling rasch ins Abseits der Filmgeschichtsschreibung.

Gerade diese Ambivalenz – zwischen Selbstironie und Präzision, Experiment und Alltagsbeobachtung, DIY-Haltung und filmischen Freiheitsräumen – macht die Neue Münchner Gruppe bis heute so faszinierend. Es war ein Kino, das sich aus dem Café heraus dachte, ohne Bedienungsanleitung, mit Mut zum Machen und einer Liebe zum amerikanischen Film, die im Umfeld der politisch links formierten Oberhausener damals beinahe ungehörig schien. Gemeinsam entwickelten die Münchner ihre Stoffe, spielten in den Filmen der jeweils anderen und kultivierten eine Haltung, die bewusst anti-bürgerlich und zugleich offensiv »unernst« war – ein ästhetischer Gegenentwurf zu einem Land, das sich nach außen gern betont ernst und künstlerisch wertvoll zeigen wollte.

All diese Spannungen, Funken und Freiheiten untersucht Dr. Marco Abel in seinem Buch, das er nun erstmals in Karlsruhe vorstellt. Als Professor an der University of Nebraska–Lincoln forscht und publiziert er seit vielen Jahren zum deutschen Kino – zur Berliner Schule, zur Kölner Gruppe und nun zur Neuen Münchner Gruppe. Sein Besuch im Blauen Salon ist eine seltene Gelegenheit, mit ihm über seine Arbeit, seine Sicht auf die Filmgeschichte und die überraschende Modernität dieser Münchner Bewegung ins Gespräch zu kommen.

Im Anschluss an die Buchpräsentation zeigt der Blaue Salon eine aufwendig kuratierte Auswahl prägender Kurzfilme der 1960er-Jahre. Auf 35mm zu sehen sind unter anderem Galaxis, Manöver, Duell, Frühstück in Rom, Zinnsoldat und Sabine 18 – ergänzt durch einige filmische Überraschungen. Möglich wird dieser Abend dank der Unterstützung verschiedener Partnerinstitutionen, darunter das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, die Murnau-Stiftung, die Deutsche Kinemathek, das Werkstattkino München und das Ramscharchiv Köln.

Die Veranstaltung entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Kölner Filmemacher und Kino-Aktivisten Bernhard Marsch, der sich tatkräftig für das Projekt eingesetzt hat und im Juni 2025 überraschend verstorben ist. Der Abend ist ihm in stillem Gedenken gewidmet.

Auch wenn die Präsentation nicht offiziell Teil der Archiv-Reihe der HfG ist, fügt sie sich nahtlos in ihren filmhistorischen Kontext ein: Nur wenige Tage später zeigt „Das Archiv lebt!“ mit Zur Sache, Schätzchen das ikonischste Werk der Neuen Münchner Gruppe – eine ideale Ergänzung zu diesem Abend, der ihre Wurzeln, Experimente und filmische Freiheit in den Mittelpunkt stellt.

Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.

Für das großartige Poster-Design (& die Siebdruckherstellung!) wieder mal herzlichsten Dank an Mona Mayer!

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